© Paula Holzer - www.paula-holzer.de Zeitfenster Weniger ist mehr
In einem Hafen liegt ein ärmlich gekleideter Fischer neben seinem Fischerboot und döst. Er schaut hinaus auf das tiefblaue Meer, hört hin auf das Rauschen der Brandung und verschläft es schließlich friedlich im schützenden Schatten seines Bootes. Ein Tourist, ganz gerührt von diesem romantischen Bild – fast ein bisschen Neid kommt auf – legt einen neuen Farbfilm in den Apparat um diese Idylle festzuhalten: Klick und gleich noch einmal: klick, und weil es so schön ist, noch ein drittes Mal: klick. Von so viel „klick“ geweckt, richtet sich der Fischer schläfrig, fast feindselig auf, um zu sehen, wer denn hier Unruhe und Hektik verbreitet. Der Tourist sucht übereifrig nach seiner Zigarettenschachtel. Es entsteht jene gereizte Höflichkeit, die der Tourist überbrückt, indem er den Fischer gleich in ein Gespräch zu verwickeln sucht. „Ich frage mich, woher Sie die Ruhe nehmen, sich mitten am Tag hier in den Schatten zu legen und einfach nichts zu tun? Warum fahren Sie nicht hinaus, um Fische zu fangen? Es ist doch gute Zeit und Sie können viel Geld verdienen!“ Der Fischer zuckt mit der Schulter und meint, er wäre ja heute Morgen schon ausgefahren, der Fang wäre gut genug gewesen. Der Tourist lässt nicht locker und versucht dem Fischer die Gesetze des Lebens zu erklären. „Sie müssen wieder hinausfahren, Sie können viel mehr Fische fangen und viel Geld verdienen.“ Der Fischer lächelt und bevor er antworten kann, ereifert sich der Tourist: „ Stellen Sie sich doch vor, wenn Sie öfter am Tag hinaus fahren würden, könnten Sie die ganzen Fische, die Sie fangen, verkaufen und sich schon bald einen Motor leisten, bald schon einen Kutter, mit dem sich viel mehr Fische fangen ließen. Eines Tages würden Sie zwei Kutter haben, Sie würden…“, die Begeisterung verschlägt ihm fast die Stimme, „Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme ausmachen und ihren Kuttern per Funk Anweisungen geben. Sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren – und dann…“, wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, blickt er hinaus auf die friedlich dahinrollende Flut. Wehmut überkommt ihn und Sehnsucht, etwas Traurigkeit, „dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen im Schatten dösen, hinausblicken auf das herrliche Meer und das Leben genießen.“ „Aber das tu` ich ja schon jetzt“, sagt der Fischer, „ich sitze hier und genieße das Leben, nur Ihr klicken hat mich dabei gestört.“ Frei nach Heinrich Bölls Erzählung „Zur Senkung der Arbeitsmoral“, die er 1963 zum „Tag der Arbeit“ geschrieben hat. |